Die Lady will es anders

10-Will es andersDie Lady will es anders

(auch: Der Talisman)

In Kürze wieder lieferbar (Unionsverlag)

Aus dem Klappentext der deutschen Erstausgabe: Eigentlich war Modesty Blaise nur deshalb in das obskure kleine Hotel in der Nähe von Casablanca gekommen, um ihren alten Freund Dr. Giles Pennyfeather zu treffen. Aber das Wiedersehen findet anders statt als geplant: Giles muß sie unter den Trümmern des Hotels hervorholen, das bei einem Erdbeben eingestürzt ist —sie und einen schwerverletzten Franzosen.
Um den letzten Wunsch dieses Mannes zu erfüllen, stürzen sich Modesty Blaise und Willie Garvin in ein Abenteuer, dessen Risiken ihnen erst bewußt werden, als sie auf den Spuren des geheimnisvollen El Mico nach Xanadu gelangen, dem Märchenschloß im Hohen Atlas.

 

(Modesty erzählt eine Geschichte aus ihrer Kindheit, als sie mit dem alten Professor Lob durch Nordafrika zog)
Sie sagte: "So etwas hast du noch nicht gesehen, Willie. Eine große Höhle und mehrere kleinere, die davon abzweigten, alles voller zusammengebastelter Regale. Er muss viel Zeit damit verbracht haben, das Zeug zu sortieren, in Schachteln zu packen und das Ganze in Ordnung zu halten, aber trotzdem war alles von unten bis oben mit Schrott voll gestopft. Ich vermute, er war ein zwanghafter Sammler. Anscheinend immer noch, obwohl der Himmel weiß, wo er weitere fünfzehn Jahre gesammeltes Zeug untergebracht hat. Damals hat mich das nicht besonders interessiert. Ich wollte lediglich mein Autorad verkaufen und zu Lob zurückkehren. Ich wusste, dass Alâeddin nicht viel zahlen würde, aber so, wie wir damals lebten, hoffte ich, es würde uns ein paar Monate lang durchbringen."Talisman10002
Nachdem sie den Handel abgeschlossen hatte, brach sie mit dem Geld und ihrem Esel wieder auf. Sie beschloss, statt den Hauptweg lieber den Pfad nördlich durch die Berge zu dem Ort zu nehmen, wo sie Lob zurückgelassen hatte. Schon bevor Lob sie sozusagen zivilisiert hatte, hatte sie für sich das Vergnügen entdeckt, sich frisch und sauber zu fühlen. Und so kam es, dass sie zwei Tage später gerade nackt in einer eisigen Bergquelle badete, als der große, knochige und schmutzige Mann auf seinem Maultier daherkam. Er rief sie an, und als sie nicht aus dem Wasser kommen wollte, nahm er einfach ihren Esel und machte sich damit davon. Da rannte sie ihm nach. Als er sich umdrehte und sie einfing, kämpfte sie mit Zähnen und Klauen, aber er warf sie zu Boden und schlug ihr mit dem dicken Stock, den er bei sich trug, auf den Schädel. Viel später tauchte sie aus dem grauen Nebel der Benommenheit wieder auf und würgte vor Übelkeit. Die Hände waren ihr auf dem Rücken zusammengebunden.
Willie Garvin murmelte: "Mein Gott." Er stand von der Bettkante auf und wanderte ziellos im Raum hin und her.
Sie legte den Unterarm über die Stirn und sagte: "Keine Sorge, Willie. Jetzt geht's mir wieder gut." Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: "Nachdem er mich vergewaltigt hatte, fesselte er mir die Füße. Als es Schlafenszeit wurde, band er das eine Ende seines Stocks an meinem Hals fest, das andere an seinem Handgelenk, sodass ich mich nicht bewegen konnte, ohne ihn zu wecken. Am nächsten Tag marschierten wir weiter, den Weg zurück, den ich von Alâeddin aus gekommen war. Er band mir die Hände los und lockerte die Fesseln an meinen Füßen, damit ich gehen konnte. Vermutlich hätte ich weglaufen und so schnell die Felswand neben dem Pfad hochklettern können, dass er mich nicht erwischt hätte. Aber ich konnte es mir nicht leisten, das Geld und den Esel zu verlieren. Das war alles, was wir hatten."
Willie Garvin setzte sich wieder auf die Bettkante, sah auf sie herunter und kaute auf der Lippe. Sie grinste ihn plötzlich an und sagte: "Kopf hoch, das ist kein Rührstück. Ich erzähle dir bloß, was geschehen ist."
"Ich würde den Dreckskerl am liebsten aufstöbern und umbringen",
"Da kommst du zu spät. In der nächsten Nacht nahm er mich wieder, aber in der übernächsten hatte ich es geschafft, an meinen selbst gemachten Stichel zu kommen."
"Den langen Nagel, den du an ein Stück Holz gebunden hattest!"
"Ja. Die Nacht zuvor hatte ich eingeschüchtert und hilflos getan, deshalb fesselte er mich diesmal nicht, und als er auf mir lag, herumfummelte und in mich einzudringen versuchte, habe ich den Mistkerl getötet."
Er nickte langsam. "Das muss ein wenig … traumatisch gewesen sein."

Peter O´Donnell, The Xanadu Talisman, 1981

Übersetzung: Peter Friedrich